„Dem mal ein Ende setzen“ – Junge Mutter wehrt sich gegen alten Stalker
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Eine junge Frau, eine Apothekerin, wird belästigt von einem schon recht alten Mann. Gestalkt, wie man das heute nennt. Hausverbot, Unterlassungsaufforderung, Strafbefehl – das kassiert und ignoriert er alles. Sein Fall kam jetzt vor Gericht – die Frau, sein Opfer, will, dass dem Treiben des Mannes „mal ein Ende“ gesetzt wird. Und er wehrt sich gegen einen bereits erfolgten Strafbefehl mit juristischen Mitteln und über seinen Pflichtverteidiger. Mit dem Ergebnis: In Haft muss er nicht. Wenn er sich bewährt.
Etwas schlampig angezogen, großer Bauch, bleich, mittelmäßig rasiert. Die zu große Hose hängt an Hosenträgern. So erscheint Paul Vogel (Name geändert) Montagmittag vor dem Amtsgericht Rottweil. Der Mann, ein 66-Jähriger, wirkt selbstsicher mit einem Hang zur Arroganz. Eigentlich lebt er gar nicht mehr in Rottweil. Aber er belästigt eine Rottweiler Apothekerin weiterhin online. Und ihre Familie. Und er schrieb schon viele Mails, unter anderem an das Königshaus Schweden. Wir haben berichtet.
Bereits 2022 hat er einen ersten Strafbefehl wegen Nachstellung kassiert, weil er die junge Frau gestalkt hatte, der auch rechtskräftig wurde. 13 Eintragungen listet sein Strafregister insgesamt auf, seit 1975 ist Vogel aktenkundig. Beleidigung, Körperverletzung, üble Nachrede, Urheberrechtsverletzung, Nachstellung. Es setzte Geldstrafen mit jeweils sehr niedrigen Tagessätzen.
Die Geschichte, um die es vor dem Amtsgericht geht: Der Mann stellt seit Jahren, so die Anklage, einer jungen Frau nach, einer Apothekerin aus Rottweil. Sie wehrt sich dagegen, doch er gibt nicht auf, bis heute. So veröffentlicht er unter anderem Fotos von ihr samt Kommentaren – zunächst gab er sich als frisch verliebt, später beginnt er, die Frau zu verunglimpfen. Und er zeigte Teile des Strafbefehls inklusive des Namens der Frau, die diesen erwirkt hatte. „Die Geschädigte fühlte sich extrem unwohl“, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Vor allem auch, weil er sich nicht durch seine erste Verurteilung davon abhalten hat lassen. Immer wieder musste die Frau, sein Opfer, online ihren Namen, Fotos von ihr, den Namen der Apotheke, ihrem Arbeitsplatz, sowie Anschuldigungen lesen.
Unbefugte Nachstellung, wird Vogel also vorgeworfen. Er ist ein Mann, der keine Frau hat, aber einen Internetzugang und einen Account etwa bei Instagram. Erneut erhält er einen Strafbefehl, diesmal im September 2024. Der Pflichtverteidiger legte Einspruch ein, daher die Verhandlung nun. Zu den Vorwürfen will Vogel nichts sagen. Aber zu seinen Lebensumständen: „Ich bekomme im Monat 985 Euro und ein paar Zerquetschte.“ Es blieben ihm nach Miete und Auto rund 250 Euro, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. „Und ich habe ein Bronchialkarzinom.“ Lungenkrebs. Der Subtext: Bei ihm ist nichts zu holen.
Er muss sogar in diesem Prozess von der Richterin ermahnt werden, weil er die Anwältin der von ihm verfolgten Apothekerin beleidigt, mitten im Gerichtssaal: „Kleine Lesbe“. „Das ist immer das falsche Setting für so etwas“, macht ihm sein Anwalt mit erhobener Stimme klar, „aber hier ist es das zehnmal falsche Setting!“ Vogel kriegt sich daraufhin ein.
Das Opfer seiner Nachstellungen: eine junge Frau, eine Mutter, die ihr erst einige Wochen altes Baby dabei hat, als sie zu ihrer Aussage in den Amtsgerichtssaal kommt. Die 33-Jährige berichtet: Zunächst habe Vogel seine Medikamente bei ihr gekauft. Ganz normal, also. Dann begann es. Ganz unangenehm sei ihr in Erinnerung geblieben, als er ihren Vornamen haben wissen wollen. „Das war Januar 2022, und da hat es angefangen.“ Über Xing, ein Berufsnetzwerk, schrieb er ihr lange Nachrichten, viele Nachrichten, berichtet sie. Dann begann er, über andere Netzwerke Bilder von ihr zu verbreiten und Unwahrheiten. Kunden und Bekannte hätten angefangen, sie darauf anzusprechen. Es folgten Informationen, Adressen etwa, von Familienmitgliedern. „Eine Unterlassungserklärung, die schon 2023 verfügt wurde, hatte gar keinen Effekt. Ich hatte eher den Eindruck, dass ihn das noch angespornt hat“, berichtet die junge Frau weiter. Unaufgeregt, sortiert. Er bekam Hausverbot in den Apotheken, suchte sie als Kunde dennoch auf. „Mittlerweile habe ich mein Privatleben von Rottweil weg verlegt. Es ist mir extrem unangenehm, auch meinen Angestellten gegenüber.“ Die Belästigungen kamen in Schüben und es hörte nicht auf, erzählt sie weiter. „Über drei Jahre zieht sich das hin.“ Eine Pause trat ein, als er vorübergehend eine andere Apothekerin aus Schönberg belästigt haben soll, dann wendet er sich aber wieder der Rottweilerin zu. Erst am Vortag der Verhandlung soll er wieder Kommentare zu der von ihm verfolgten Apothekerin veröffentlicht haben, die junge Frau bringt in die Verhandlung vor dem Amtsgericht Screenshots mit. Sie fordert „Konsequenzen, die dem mal ein Ende setzen.“ Stattdessen werde sie nach wie vor auf die Online-Kommentare angesprochen, teils von Fremden. „Rottweil ist eine kleine Stadt, das geht rum.“ Außerdem habe sie Angst, dass das mal in die reale Welt übergeht. Dass er die nächste Eskalationsstufe nimmt, sie persönlich angeht. Nicht nur online.
Überheblich grinsend folgt Vogel der Verhandlung. Er lehnt sich zurück.
Ein leitender Rottweiler Beamter, ein Polizeihauptkommissar, kennt die Geschichte, er wird als Zeuge gehört. Er bekam eine Anzeige von der Anwältin der Apothekerin. Und arbeitet den Fall auf. Sichert Screenshots, hört sich beide Seiten an, legt die Sache der Staatsanwaltschaft vor. Parallel treffen E-Mails bei der Polizei ein, die an einen größeren Verteiler gegangen sind, wie der Beamte sagt. Darunter war etwa auch die NRWZ.
„Dinge, die hier in die Welt gerufen werden“ – als solches bezeichnet Vogels Rechtsanwalt drei der angeklagten Taten, das Veröffentlichen von Kommentaren zu der Apothekerin online. Sein Mandant habe nicht in jedem der vorgeworfenen Fälle versucht, Kontakt zu der jungen Frau aufgenommen, den Straftatbestand der Nachstellung deshalb nicht erfüllt. Und tatsächlich: Paragraf 238 Strafgesetzbuch, Nachstellung, bestraft denjenigen, der „unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht“. Was Vogel in einigen wenigen Fällen nämlich nicht getan hat, und was ebenso die Nachstellung erfüllt: eine Abbildung (der) Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Das sieht die Staatsanwältin anders: Der Kontakt habe bereits bestanden. Die Veröffentlichungen, auch ohne Foto, hätten darauf abgezielt, an das Opfer herangetragen zu werden. Über Dritte.
Auch hinsichtlich des Bildes hatte der Verteidiger eine eigene Sicht der Dinge. Das Foto der Apothekerin sei online auf der Website der Apotheke zu finden gewesen. Und: „Im Vergleich zu anderen Stalking-Fällen sind wir in einem unterschwelligen Bereich.“ Er habe immer noch die Hoffnung, dass sich Herr Vogel die Verhandlung zu Herzen nimmt und aufhört, Dinge zu posten.“ Und der Mann selbst ergänzte, er wohne jetzt mehr als 500 Kilometer entfernt, „Rottweil ist mir ziemlich egal.“ Hat er nicht erst gestern erneut Dinge über die Apothekerin gepostet?
Der Strafrahmen laut Paragraf 238: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen …“ Weil es einschlägige Vorstrafen gebe, weil die Belästigungen nicht aufhörten, weil die Rückfallgeschwindigkeit hoch sei, will die Staatsanwältin den Mann in Haft sehen. „Wir befinden uns im Freiheitsstrafenbereich.“ Sie beantragt zehn Monate. Eine Aussetzung zur Bewährung sei nicht gegeben.
Und so urteilte die Einzelrichterin am Amtsgericht: zehn Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung für die Zeit von drei Jahren. Und er soll eine Geldauflage in Höhe von 2000 Euro zahlen – zu 50 Euro monatlich. Die Einschüchterung liege für das Opfer vor allem auch darin, dass sie keinen Einfluss darauf habe, in welchem Bereich sich die Kommentare zu ihr online verbreiten, ergänzte die Richterin. Er müsse eine Freiheitsstrafe erhalten, weil er vehement und nahtlos weitermache und eine Geldstrafe bislang gar keine Wirkung entfaltet habe. „Sie haben sich unbeeindruckt gezeigt von einem Strafverfahren.“ Irgendwie schien er sich auch von dem Urteil unbeeindruckt gezeigt zu haben.
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